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BB XV Gerichtsbehörden 1831 ff., 1806-1996 (Bestand)
Identifikationsbereich |
Signatur: | BB XV |
Titel: | Gerichtsbehörden 1831 ff. |
Entstehungszeitraum: | 1806 - 1996 |
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Angaben zur Benutzung |
Bemerkungen: | - Vgl. Verwaltungsgeschichte - Untere Gerichtsbehörden siehe Bezirksarchive |
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Angaben zum Kontext |
Verwaltungsgeschichte: | „Von jeher war in der bernischen Justiz die Weiterziehung bedeutender Urteile der untern Gerichte an eine höhere Instanz möglich gewesen. Die Erkenntnisse der hohen Gerichtsbarkeit (=Kriminaljustiz), ausgeübt durch das Stadtgericht und auf dem Land durch die Venner- und die Landvogteigerichte, konnten rekursweise an den Kleinen Rat, in ganz besonderen Fällen jedoch auch noch an den Rat der Zweihundert gezogen werden. An die Stelle des Kleinen Rates trat 1654 als ordentliche Oberinstanz die deutsche Appellationskammer, bestehend aus Mitgliedern der beiden Räte. Darüber hinaus war in einem gewissen Umfange auch gegenüber Urteilssprüchen der Landvögte, der Twingherren und des städtischen Grossweibels in der niedern Gerichtsbarkeit (betreffend Schulden und Eigentum einerseits, Freveltaten und Polizeiübertretungen anderseits) ein Rekurs an die Obrigkeit gegeben. Schliesslich konnten mit diesem Rechtsmittel auch die Urteile des in Bern amtierenden Obersten Ehegerichts, das den kommunalen Chorgerichten vorgesetzt war und dem die Beurteilung der sogenannten Konsistorialsachen, d.h. der Ehescheidungs- und Ehetrennungsklagen wie der Paternitätsprozesse, aber auch der Sittlichkeitsvergehen zustand, vor den Kleinen Rat gebracht werden.“ 1)
Nach dem Untergang des Alten Bern gab Frankreich dem helvetischen Einheitsstaat (1798-1803) einen für die ganze Republik zuständigen Obersten Gerichtshof bei, der in Straf- wie in Zivilsachen als Appellations- und Kassationsinstanz gegenüber den Kantonsgerichten zu wirken hatte. Das nach französischem Vorbild geschaffene Gericht hatte Eintagscharakter und trug zur späteren Entwicklung des bernischen Gerichtswesens wenig bei.
Die Mediationsakte (1803) brachte hingegen tiefgreifende Änderungen der bernischen Gerichtsverfassung: „In unterer Instanz fungierte wiederum ein vom Kleinen Rat, somit der Regierung, ernannter Oberamtmann als Verwaltungsbeamter sowohl wie als Richter: Einzelrichter in Frevelsachen und in geringen Zivilstreitigkeiten - Präsident des neugebildeten, 4 Beisitzer zählenden Amtsgerichts, dessen Geschäfte er zu instruieren hatte, nämlich die grösseren Zivilsachen und insbesondere die Kriminalfälle (für die Hauptstadt wurde in Analogie hierzu ein Schultheissengericht bestellt).“ 2) Urteile der unteren Instanzen in Sachen, „die ihre endlichen Kompetenzen überschritten, und Sentenzen des gleichfalls wieder eingesetzten Ehegerichts waren weiterziehbar. Als obere Instanz in Zivil- wie in Kriminalfällen waltete das Appellationsgericht, das man angeblich der deutschen Appellationskammer des frühern patrizischen Regimes nachbildete und das aus 12 Mitgliedern des Grossen Rates und dem Alt-Schultheissen, d.h. dem nichtamtierenden der beiden Schultheissen bestand. Das oberste Gericht des Kantons setzte sich folglich aus Männern zusammen, die zunächst einmal den gesetzgebenden und den vollziehenden Organen des Staates angehörten und durch diese ausgewählt wurden. Übrigens waren 4 weitere, durch das Los bestimmte Mitglieder des Grossen Rates zu den Verhandlungen beizuziehen, wenn in einer Kriminalaffäre von irgendeiner Seite - einen eigentlichen öffentlichen Ankläger gab es nicht mehr - auf Ausfällung der Todesstrafe angetragen war.“ 3)
1) Peter Grossenbacher. Das erste bernische Obergericht. In: ZBJV 117/1981, Seite 557 ff. 2) ebenda, Seite 560 3) ebenda, Seite 560
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| Im Wesentlichen blieb die geschilderte Ordnung des bernischen Gerichtswesens auch während der Restauration (1815-1830) in Kraft: „Oberamtmänner und Amtsrichter wurden durch den Kleinen Rat zusammen mit dem von Alters her bekannten Gremium der Sechzehner (16 zusätzlich bestimmte Mitglieder des Grossen Rates) erkoren. Das Appellationsgericht wählte den Grossen Rat, und zwar hatte dieser gemäss dem Organisationsdekret vom 17. Juni 1816 fortan aus seiner Mitte 14 Mitglieder als Appellationsrichter zu bezeichnen, zwei mehr als unter der Mediationsverfassung (als Folge der Vereinigung des jurassischen Gebietes mit Bern); davon mussten wenigstens 4 ehemalige Oberamtmänner sein. Hinzu kam der dem Kleinen Rat zu entnehmende Präsident des Gerichts und kamen ferner in Kriminalfällen, in denen es um die Aussprechung der Todesstrafe gehen konnte, noch 4 weitere Angehörige des Kleinen Rates als zusätzliche Beisitzer des Tribunals. Summa summarum: eine enge Verflechtung der höchsten Gerichtsbeamten mit den anderen Staatsgewalten Berns, ganz abgesehen davon, dass auch das Ehegericht als Sonderforum für die Konsistorialprozesse in 1. Instanz mehrheitlich aus Ratsherren bestand.
Zu beurteilen hatte die kantonale Oberinstanz der Restaurationsperiode die appellierten Zivilstreitigkeiten, die appellierten Frevelsachen und zudem alle Kriminalgeschäfte, welch letztere zum Zwecke obligatorischer Revision von den untern Instanzen ex officio an das Appellationsgericht eingesandt werden mussten.“ 4)
Die liberale Verfassung vom 6. Juli 1831 brachte dem bernischen Staatsgebiet eine erneute Änderung der Gerichtsorganisation. Nach wie vor bestanden in den einzelnen Amtsbezirken Amtsgerichte, deren Kompetenzen aber gegenüber früher bedeutend erweitert wurden. Als Rekursgericht und Nachfolgeinstitution des Appellationsgerichts der Restaurationsperiode wurde das Obergericht der Republik Bern geschaffen. Dieses bestand aus 10 Mitgliedern und dem Präsidenten, dazu aus vier ordentlichen und vier ausserordentlichen Ersatzmännern. Neu wurde dem Obergericht ein öffentlicher Ankläger, ein Staatsanwalt beigeordnet. Massgebend für die Organisation und das Verfahren des Obergerichts war das Gesetz über die Organisation des Obergerichts vom 11. April 1832. Dieses sah eine Aufgliederung des Gerichts in drei Kommissionen zu je drei Mitgliedern vor: die Kriminal-, die Justiz- und die Moderationskommission, die in Fragen von Kostenfestsetzungen und Entschädigungsforderungen zu entscheiden hatte. Alle drei Kommissionen waren vorberatende Organe; mit der eigentlichen Behandlung der Rechtsgeschäfte befasste sich das Plenum des Obergerichts.
Die radikale Verfassung vom 13. Juli 1846 sah in Artikel 53 weiterhin die Institution eines Obergerichts des Kantons Bern vor. Für die Verwaltung der Rechtspflege bestimmte das Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Juli 1847 eine Einteilung des Obergerichts in einen Appellations- und Kassationshof, bestehend aus dem Präsidenten und acht Mitgliedern, eine Anklagekammer von drei Mitgliedern und eine Kriminalkammer von ebenfalls drei Mitgliedern. Der Appellations- und Kassationshof urteilte „als Appellationsgericht über alle auf dem gesetzlichen Wege an ihn gelangenden Streitigkeiten, welche den Wert von zweihundert Franken überstiegen oder durch das Gesetz, abgesehen vom Geldwerte, für appellabel erklärt“ wurden. Ferner entschied der Appellations- und Kassationshof „über alle Nichtigkeitsklagen und über Beschwerdeführungen gegen die untern Gerichte und Gerichtsbeamten wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung und wegen Formverletzungen.“ 5)
4) ebenda, Seite 562 ff. 5) Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Juli 1847.
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| Die wachsende Komplexität der Rechtssprechung machte zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederum eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen der Gerichtsordnung nötig. Im (heute noch in Kraft stehenden) Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Januar 1909 wurde die Einteilung der gerichtlichen Institutionen neu geregelt: Die gesamte Rechtspflege des Kantons Bern in bürgerlichen und in Strafsachen wurde dem Obergericht und seinen Kammern, den Geschwornengerichten, den Amtsgerichten, den Gerichtspräsidenten, den Arbeitsgerichten, den Handelsgerichten und den Jugendgerichten übertragen.
Das Obergericht besteht (in seiner heutigen Zusammensetzung) aus mindestens 18 und höchstens 23 Mitgliedern sowie 13 bis 15 Ersatzmitgliedern. Es „bestellt aus seinen Mitgliedern drei Zivilkammern, zwei Strafkammern, eine Kriminalkammer, die kantonale Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen zu je drei sowie einen Kassationshof von sieben Mitgliedern; dem Handelsgericht werden ein bis drei Mitglieder zugeteilt. Aus drei Mitgliedern der Strafkammer wird die Anklagekammer gebildet. Bei dauernder Überbelastung kann das Obergericht eine weitere Zivil- oder Strafkammer bestellen.“ 6)
Zur Verwaltung der Strafrechtspflege durch die Geschwornengerichte wird der Kanton in fünf Geschwornenbezirke eingeteilt. Das Geschwornengericht wird gebildet aus der Kriminalkammer und den Geschwornen. 7)
Der kurze Überblick über die Organisation der Gerichtsbehörden vom Alten Bern bis zum heutigen modernen bernischen Staatswesen macht deutlich, welchen Schwankungen die Rechtssprechung durch inneren Wandel aber auch durch äussere Einflüsse (Franzoseneinfall, Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen usw.) unterworfen war. Ebenso weitverzweigt und kompliziert wie die Strukturen der Behörden zeigen sich die Archivalien der Gerichtsverwaltung im Staatsarchiv des Kantons Bern. Durch die klassische Einteilung in die beiden grossen Hauptabteilungen des Archivs ist grundsätzlich einmal zu unterteilen in:
Alte Hauptabteilung (bis 1831): - Gerichtswesen vor 1798 (B IX) - Kantonsgerichte der Helvetik 1798-1803 (Helv BE / Helv OL) - Appellationsgericht 1803 bis 1831 (B IX)
Neue Hauptabteilung (seit 1831): - Gerichtsbehörden 1831 ff. (BB XV, BB 15)
Der Bestand „Gerichtsbehörden 1831 ff.“ ist seinerseits unterteilt in vier grosse Abschnitte, die zum einen durch die Gesetzgebung, zum andern durch die Archivalien selber bestimmt werden:
1. Manuale, Protokolle, Geschäftskontrollen, Archivkontrolle, Urteile 1831 ff. 2. Gerichtsbehörden 1831-1852 3. Gerichtsbehörden 1853-1908 4. Gerichtsbehörden 1909 ff.
Die seriellen Quellen der Manuale, Protokolle, Geschäftskontrollen, Archivkontrollen, Urteile 1831 ff. sind von den übrigen Archivalien getrennt, in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst worden. Grund für diese nicht in allen Teilen befriedigende Lösung ist der Umstand, dass vor allem im 19. Jahrhundert verschiedene Gerichtsbehörden gemeinsame Manuale führten. Das System der Trennung von Manualen und den dazugehörenden Akten ist nicht konsequent durchgeführt worden. Vor allem bei den im 20. Jahrhundert neu entstandenen Gerichten (Handelsgericht, Versicherungsgericht usw.) und insbesondere auch bei den Geschwornengerichten ist, um ein Auseinanderreissen der in sich geschlossenen, reinen Provenienzbestände zu vermeiden, auf eine Zweiteilung verzichtet worden. Für zukünftige Ablieferungen ist keine Trennung von Akten und Manualen mehr vorgesehen. Durch ein System von Hin- und Rückverweisen in den Abschnitten zwei bis vier soll der Benutzer des vorliegenden Inventars auf das Vorhandensein von Manualen aufmerksam gemacht werden.
6) Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Januar 1909. 7) ebenda (Artikel 20 ff.)
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| Der zweite Abschnitt (Gerichtsbehörden 1831-1852) wird in Aufbau und Inhalt durch das Gesetz über die Organisation des Obergerichts vom 11. April 1832 bestimmt. Neben den Akten der Kanzlei des Obergerichts und den Archivalien der vorberatenden Kommissionen (Justizkommission in Zivil- und Polizeisachen; Kriminalkommission in Kriminalsachen und Moderationskommission für die Festsetzung von Entschädigungs- und Kostenforderungen) machen die Untersuchungskaten des Obergerichts den Hauptteil des Abschnitts aus.
Das Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Juli 1847 stellt die nächste wesentliche Zäsur in der Entwicklung der Gerichtsbehörden und somit auch in der Strukturierung der Archivbestände dar. Das Gesetz wurde abgeändert durch das Gesetz betreffend einige Abänderungen des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Juli 1847. Erst sechs Jahre später, durch die Promulgationsverordnung zum Gesetz betreffend einige Abänderungen des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Juli 1847 (vom 21. März 1853), konnte das Gesetz ausgefertigt werden. Durch das Datum 1853 ist auch der dritte Abschnitt des vorliegenden Inventars (Gerichtsbehörden 1853-1908) vorgegeben. Die Untersuchungsakten der Polizeikammer bilden hier den umfangmässigen Schwerpunkt. Sie stellen die Fortsetzung der Untersuchungsakten des Obergerichts 1831-1852 dar und münden zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Untersuchungsakten der Strafkammern.
Nicht dem chronologischen Aufbau des Inventars entsprechend sind aus oben erwähnten, rein archivtechnischen Gründen die Akten des Geschwornengerichts aus dem dritten Abschnitt des Inventars entfernt und dem vierten Teil (Gerichtsbehörden 1909 ff.) beigefügt worden.
Dieser vierte Abschnitt (Gerichtsbehörden 1909 ff.) richtet sich in Aufbau und Inhalt streng nach dem heute noch geltenden Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 31. Januar 1909.
Es bleibt den Bearbeitern des vorliegenden Inventars zum Schluss noch die angenehme Pflicht, Herrn alt Oberrichter Peter Grossenbacher für seine freundliche Mithilfe an Konzept und Ausarbeitung herzlich zu danken. Ohne die Hilfe eines kompetenten Fachmannes hätte die Inventarisierungsarbeit wohl kaum zu einem glücklichen Ende geführt werden können. Als Autor des hier ausgiebig zitierten Aufsatzes über das erste bernische Obergericht und als Berater in allen kniffligen Fragen hat Herr Oberrichter Grossenbacher wesentlichen Anteil an der Entstehung eines Inventars, das an Archivare und Archivbenützer hohe Anforderungen stellt.
Bern, den 23. März 1984 / Mg |
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Verwandte Verzeichnungseinheiten |
Verwandte Verzeichnungseinheiten: | Fortsetzung von: Gerichtsbehörden, 1751-1861 (Gliederungsgruppe II)
Fortsetzung siehe: BB 15 Gerichtsbehörden 19./20. Jh., 1852-1999 (Bestand)
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URL: | http://stabe.query.scope.ch/detail.aspx?ID=80 |
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